20.04.2024

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig

Regelmäßiger Konsum ist fatal: Gerade Wein als Genussmittel spielt eine große Rolle beim Einstieg in die Alkoholsucht.

Von Max Rieser

Schriesheim. Nicht alles am Weintrinken ist reiner Genuss. Alkohol ist eine Droge, die durch ihren regelmäßigen Konsum ein großes Suchtpotenzial hat. So erklärt es der ärztliche Direktor der Klinik für abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, Falk Kiefer (Foto: Uni Heidelberg), im Interview.

Herr Kiefer, wie groß ist die Gefahr für junge Leute, alkoholabhängig zu werden?

Das Risiko, unter dem 25. Lebensjahr eine Abhängigkeit zu bekommen, ist hoch, da das Gehirn noch flexibel ist, was die Entwicklung von Gewohnheiten angeht. Im Gegensatz zu Kokain ist das Suchtpotenzial von Alkohol zwar niedriger, es kommen aber fast 100 Prozent der Jugendlichen mit Alkohol in Berührung. Wenn man bedenkt, dass rund fünf Prozent der regelmäßigen Alkoholkonsumenten später süchtig werden, kommt man auf rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Abhängigkeit.

Wie merkt man, dass man abhängig ist?

Wenn Aktivitäten immer mehr um den Alkohol herum geplant werden und die Gedanken darum kreisen. Wenn man beispielsweise zu Festen nicht mehr geht, um Freunde zu treffen, sondern um zu trinken, ist das kritisch. Auch wenn man sich vornimmt, an einem Abend nur ein Glas Wein zu trinken, und bestellt sich dann doch das Zweite und Dritte, und das öfter, ist man auf dem Weg, ein Problem zu entwickeln.

Welche Rolle spielt Wein als Einstieg in die Alkoholsucht?

Gerade Wein ist ein Genussmittel, das mit bestimmten Speisen in Verbindung gebracht wird und vielen gut schmeckt. In Anbauregionen ist Wein ein Alltagsgetränk. Kinder sehen, dass Erwachsene ganz selbstverständlich regelmäßig trinken. Wichtig ist, nicht bigott zu sein. Wenn man sieht, wie präsent Alkohol ist, darf man sich nicht beklagen, dass ein relevanter Teil der Konsumenten abhängig wird. Dafür kann man jene, die mit einer bestimmten Konstitution in einer trinkenden Umgebung großwerden, kaum verantwortlich machen. Wenn man sagt:,Wir wollen weniger Alkoholabhängige’, müsste man Alkohol aus dem Alltag zurückdrängen.

Wie schätzen Sie das gesellschaftliche Bewusstsein für Alkoholsucht ein?

Durch das gestiegene Gesundheitsbewusstsein ist bei jungen Menschen das Bewusstsein für die schädlichen Wirkungen von Alkohol gestiegen. Ansonsten verdrängt unsere Gesellschaft dieses Problem. Wer selbst gern trinkt, möchte nicht mit den Problemen konfrontiert werden. Deshalb wird auch oft mit dem Finger auf schwer Abhängige gezeigt und gesagt: ,Ach, bei mir ist es ja nicht so schlimm’. Dabei beginnt Alkoholabhängigkeit schon viel früher, und es schadet nicht, das eigene Trinkverhalten kritisch zu hinterfragen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung