28.03.2024

Gibt es den Geheimgang von der Strahlenburg?

Reiner Frank Hornig und Stadtarchivar Dirk Hecht glauben nicht daran. Gegen diese Sage sprechen etliche Fakten, wie die alten Mauern ins Tal.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Diese Frage beschäftigt die Schriesheimer seit Jahrhunderten: Gab es einen Geheimgang von der Strahlenburg in die Altstadt? Das liegt allein schon deswegen nahe, weil die Burg und der Strahlenberger Hof, sozusagen die Talresidenz der Strahlenberger, zusammengehörten – auch was den Entstehungszeitraum angeht (1235 beziehungsweise 1240/50). Das spiegelt sich auch in der Architektur wider: Wahrscheinlich hatte die Burg ebenso einen Stufengiebel wie heute noch der Strahlenberger Hof, der letzte Rest der mittelalterlichen Bebauung in der Altstadt.

Der jetzige Besitzer des Strahlenberger Hofes (einst als Gaber’sches Haus bekannt), Peter Bausback, ist sich sicher, dass es den Geheimgang irgendwo geben müsse. Auch Hermann Brunn, der Autor von "1200 Jahre Schriesheim" (1964), ist dieser Meinung: "Ein mit leichtem Gruseln vermischtes Interesse ist in Schriesheim immer einem Überbleibsel besonderer Art entgegengebracht worden: den unterirdischen Gängen zwischen Stadt und Burg.

Völlig gesichert ist nur einer, der den Stadthof der Strahlenberger mit ihrer Burg verbunden hat. Er soll im Keller des heute Näher’schen Hauses (Heidelberger Straße 10/12) begonnen haben. In drei Metern Tiefe trat er 1949 bei Kanalisationsarbeiten in der Oberstadt zutage. An welcher Stelle der Burg er ausmündete, lässt sich nur vermuten. Im Burgbrunnen, wie manchmal angenommen wird, jedenfalls nicht." Auch heute stellen viele Altstadt-Hausbesitzer fest, dass die alten Keller miteinander verbunden sind – was den Gedanken an einen Geheimgang nahelegt.

Doch Reiner Frank Hornig ist anderer Meinung. Da er selbst viel in der Erforschung der regionalen Steinbruch- und Bergbaugeschichte gearbeitet hat – daher auch sein Engagement für das Kompressorenhaus – , weiß er auch warum: Der Untergrund ist schwer zu bearbeiten, weil er vor allem aus Granit besteht. Mit damaligen Techniken wäre solch ein Geheimgang extrem aufwändig gewesen.

Zudem hätte man Luftlöcher zur Sauerstoffversorgung gebraucht. Außerdem entdeckte Hornig auf alten Aquarellen und Fotografien mindestens eine Mauer, die sich von der Strahlenburg in Richtung Altstadt zog. Er fragt sich: "Wieso sollte es einen Geheimgang geben, wenn doch Mauern gebaut wurden?"

Die Mauern sind zweifelsfrei belegbar: Eine umschloss die Burg, eine, wenn nicht zwei führten ins Tal – möglicherweise sogar mit einem Wehrgang als Fluchtweg. Dazu passt, dass es neben der Zufahrtsstraße, dem Burgweg, noch mindestens zwei direkte Stich-Verbindungen den Hang entlang gab: im Norden den Eselspfad (von der Schmalen Seite zum Burgweg), die Schlossstaffel, die vom Kehlweg abzweigte, und wohl auch den Herrenpfad, der dazwischen lag.

Laut Brunn war das der Herrenpfad, eine mit einer niedrigen Mauer eingefasste Treppe direkt durch den Schlosswingert, der auf direktem Weg die Burg mit dem Stadthof verband (sozusagen die Verlängerung der heutigen Herrengasse). Was aus den Mauern wurde, ist ungeklärt, wahrscheinlich wurden ihre Steine bei der Terrassierung des Schlosswingerts verbaut.

Dass sich Hornig für die Strahlenburg interessiert, hat mehrere Gründe: Erstens sieht er sie jeden Tag von seiner Wohnung in der Porphyrstraße aus. Zweitens interessiert sich der Heidelberger, der seit über 40 Jahren in Schriesheim wohnt (davon die meiste Zeit auf dem Branich), besonders für Heimatgeschichte: "Das gehört mit zur Integration." Und schließlich ist er unter die Krimiautoren gegangen: Sein Buch aus der Edgar-Wallace-Reihe "Das Geheimnis der toten Augen" spielt teilweise auf der Strahlenburg. Und natürlich ging es dort auch um den legendären Geheimgang, dessen Existenz Hornig aber in dem Buch verneinte.

Und was sagt Stadtarchivar Dirk Hecht zu dem Thema? Er schließt sich Hornigs Meinung an: "Der Aufwand für einen Geheimgang wäre zu groß gewesen." Denkbar wäre höchstens, dass es eine Art Tunnel durch die dünne Lössschicht gegeben haben könnte.

Und er verweist darauf, dass die Burg mit zwei Flügelmauern mit der eigentlichen Stadtmauer verbunden war: "Ein Geheimgang hätte in keinem Verhältnis von Kosten und Nutzen gestanden." Zumal die Strahlenberger an ihrer Burg "viel gespart" hätten: "Die ist ganz klassisch, ohne jede Verzierung. Und 100 Jahre später waren die Strahlenberger pleite."

Und wieso kommt er zu einem ganz anderen Schluss als Brunn? "Brunn kann es nicht belegen", sagt Hecht – und er verweist auf ganz ähnliche Geheimgang-Geschichten in der Region, wie an der Feste Dilsberg. Dort soll es einen Tunnel quer durch den Burgberg gegeben haben.

Tatsächlich handelte es sich um einen im 12. Jahrhundert angelegten Brunnenschacht, zu dem 500 Jahre später ein Querstollen getrieben wurde. Auch wenn beide zugeschüttet und erst 1926 freigelegt wurden, hielt sich lange die Sage vom Geheimgang. Noch abenteuerlicher ist es in Heidelberg: Dort soll es einen Geheimgang vom Schloss unter dem Neckar durch bis hoch auf den gegenüberliegenden Heiligenberg gegeben haben.

Ausgangspunkt für solche Vermutungen ist das Heidenloch, eine 55 Meter tiefe Zisterne, die wahrscheinlich beim Bau des Stephansklosters ab 1090 gegraben wurde. Das Kloster, das direkt am heutigen Heiligenbergturm lag, wurde nach der Reformation aufgelöst, kurz darauf entstand die Sage eines Geheimgangs. Erst 1936 wurde der Brunnenschacht wieder freigelegt.

Und warum halten sich solche Sagen bis heute – trotz aller Widerlegungen – hartnäckig? Hecht meint: "Die Leute glauben eh, was sie wollen. Und außerdem ist es ja auch eine schöne Geschichte."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung