25.04.2024

Stimmt das wirklich mit dem "442. Mathaisemarkt"?

1926 wurde zum zweiten Mal nach dem Ersten Weltkrieg wieder Mathaisemarkt gefeiert (l.). Der Vieh- und Pferdemarkt war auch noch 1926 der zentrale Bestandteil des Mathaisemarkts (r.o.) – damals noch im Unteren Hof der Volksschule (heute Strahlenberger Grundschule). Kurz danach wandelte er sich zum Volksfest. Seit 1935 gibt es den Festzug auf dem Mathaisemarkt, hier der Wagen der Winzergenossenschaft. (M.r.) Die ersten offiziellen Weinhoheiten (u.r.) waren 1953 Königin Gretel Frank (Mitte) und die Prinzessinnen Marianne Lorenz (l.) und Else Ullrich. Fotos: Aus den Büchern von Konstantin Groß „Vom Silvaner zum Schriesecco“ (2006) und von Gerhard Merkel / Wilhelm Heeger „400 Jahre Mathaisemarkt in Schriesheim“ (1979).
1926 wurde zum zweiten Mal nach dem Ersten Weltkrieg wieder Mathaisemarkt gefeiert (l.). Der Vieh- und Pferdemarkt war auch noch 1926 der zentrale Bestandteil des Mathaisemarkts (r.o.) – damals noch im Unteren Hof der Volksschule (heute Strahlenberger Grundschule). Kurz danach wandelte er sich zum Volksfest. Seit 1935 gibt es den Festzug auf dem Mathaisemarkt, hier der Wagen der Winzergenossenschaft. (M.r.) Die ersten offiziellen Weinhoheiten (u.r.) waren 1953 Königin Gretel Frank (Mitte) und die Prinzessinnen Marianne Lorenz (l.) und Else Ullrich. Fotos: Aus den Büchern von Konstantin Groß „Vom Silvaner zum Schriesecco“ (2006) und von Gerhard Merkel / Wilhelm Heeger „400 Jahre Mathaisemarkt in Schriesheim“ (1979).

Seit 1580 ist er über längere Strecken ausgefallen. Seit Mitte der zwanziger Jahre gab es einen Wandel zum Volksfest.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Der wie viele Mathaisemarkt wird eigentlich gefeiert? Die Stadt schreibt vom 442.. Klingt an sich ja auch logisch, schließlich fiel das Fest pandemiebedingt 2021 und 2022 aus. Ältere erinnern sich, dass das auch 1991 der Fall war – wegen des Golfkriegs. Also drei Einzelfälle? Mitnichten.

Denn tatsächlich gab es ganze Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, in denen gar nicht gefeiert wurde – zum Beispiel von 1915 bis 1924 und von 1940 bis 1949, von noch viel früheren Ereignissen wie dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) oder dem Pfälzer Erbfolgekrieg (1688-1697) ganz zu schweigen. Gerhard Merkel erwähnt diese Epochen in seinem Büchlein von 1979 "400 Jahre Mathaisemarkt in Schriesheim" (Co-Autor war Alt-Bürgermeister Wilhelm Heeger). Also bleibt die Frage offen, wie oft bisher das Fest auch wirklich gefeiert wurde.

Unzweifelhaft verlieh am 14. Oktober 1579 Kurfürst Ludwig VI. Schriesheim das Recht, zwei Märkte abzuhalten, also erstmals 1580 – und zwar an den Kalendertagen der Apostel Matthäus (24. Februar) und Jakobus (25. Juli). Das war eine Art Entschädigung dafür, dass 109 Jahre zuvor sein Vor-vor-vor-vor-Gänger Friedrich I. ("der Siegreiche") erst die Siedlung belagert und ihr dann die Stadtrechte aberkannt hatte (woraufhin die Stadtmauer geschleift wurde): Schriesheim war zum Spielball rivalisierender Adelsgeschlechter geworden.

Dennoch prosperierte der Ort mit dem Bergwerk und dem 1456 vom Kloster Schönau übernommenen "Münchhof" (heute Strahlenberger Grundschule) als Wirtschaftszentrum. Zudem wurde Schriesheim um 1480 Sitz des Zents, also Gerichtsort für die Region – wovon heute noch der Pranger am Alten Rathaus kündet. Mit etwa 1000 Einwohnern war man also ein Oberzentrum, ohne Stadt zu sein, deswegen erhielt es wieder das Marktrecht. Die Besonderheit: Der Mathaisemarkt – damals ein Vieh- und Jahrmarkt – war der Erste in der gesamten Region, hier konnte man sich mit Waren und auch Tieren eindecken.

Der Dreißigjährige Krieg brachte den ersten größeren Einbruch, wie Merkel schreibt: 1623 gab es eine Pause, 1627 ist wieder ein Markt bezeugt, "im letzten Jahrzehnt des großen Krieges waren keine Märkte mehr möglich, sie wurden erst 1651 erneut ausgerufen und im folgenden Jahr wieder abgehalten".

Dennoch erholten sich der Mathaise- und der Jakobusmarkt rasch, bis die Kurpfalz wieder in den Strudel eines weiteren Konflikts, des Pfälzer Erbfolgekrieges, geriet: 1689 fielen die Märkte wieder aus, im Jahr drauf war der Besuch nur dürftig, erst ab 1697 ging es wieder los. Im 18. Jahrhundert wurden sogar noch zwei weitere Märkte eingeführt: der Bartholomäus- (1753) und der Oktobermarkt (1789), danach "scheint Schriesheim ein wahrhaftes Marktfieber erfasst zu haben" (Merkel), man wollte jeden Monat einen abhalten, doch die badische Regierung lehnte das ab: "Allzu viele Viehmärkte taugen nichts."

Doch im 19. Jahrhundert verloren die Schriesheimer Märkte an Attraktivität: Fürs Viehhandeln war Mannheim der größere Standort, schließlich brauchte man immer weniger den Krammarkt, denn die nahen Städte boten bessere Möglichkeiten zum Einkaufen. So lahmte auch der Mathaisemarkt, der bis dato einzig übrig gebliebene Vieh- und Krammarkt. Mit dem Ersten Weltkrieg gab es gar keine Märkte mehr. Erst 1921 sollte zumindest der Mathaisemarkt wieder abgehalten werden, doch die grassierende Maul- und Klauenseuche verhinderte das.

Dann kam die Inflation, erst danach, 1925, machte man sich unter Bürgermeister Georg Rufer an seine Wiederbelebung: Es gab sogar eine Lotterie, um die Kosten zu finanzieren. Doch wegen der Maul- und Klauenseuche wurde nur ein Pferdemarkt abgehalten – im Hof der damaligen Volksschule, deren Räume für die Landwirtschaftsausstellung dienten.

Der Mathaisemarkt war nur am Dienstag, im folgenden Jahr startete er bereits am Sonntag, sodass er nun drei Tage dauerte: Schule und ihr Hof blieben der Landwirtschaft und dem Viehhandel vorbehalten – hier wurde auch der Wein ausgeschenkt –, erstmals eröffnete aber ein Vergnügungspark auf dem Kirchweihplatz gegenüber vom Café Linde (heute Festplatz).

Der "neue" Mathaisemarkt boomte, daher bildete sich im Rathaus eine eigene Organisationskommission, das Marktgeschehen verlagerte sich zunehmend aus dem engen Schulhof – ab 1927 war der Pferdemarkt in der Kirchstraße –, und erstmals wurde auch im Zehntkeller Wein ausgeschenkt. 1930 gab es sogar Segelflüge vom Ölberg aus. 1935 wurde der Festzug eingeführt, damals mit elf Wagen.

Auch unter den Nazis änderte sich am Festgeschehen wenig, allerdings diente der Markt, wegen deren "Blut und Boden"-Ideologie, "als Hauptveranstaltung landwirtschaftlicher Art an der Bergstraße, erst in den folgenden Jahren sollte er mehr den Charakter eines Volksfestes annehmen" (Merkel).

Seit den dreißiger Jahren wurde der Markt immer mehr zu einem Event für Reiter – darunter auch Staffeln der Wehrmacht und der SS –, zumal vom alten Tierhandel nur noch die Pferde geblieben waren. Immer stärker ging es dann in Richtung Volksfest, mit Rummel, Tanz im Zehntkeller und in den Lokalen oder Auftritten von Militärkapellen – zuletzt 1939.

Dann kamen der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit, erst 1950 wurde wieder gefeiert. Doch drei Jahre später wurde der Vergnügungspark in die untere Bahnhof-, Schiller- und Theodor-Körner-Straße verlegt, weil der alte Kirchweihplatz zu klein war – der Festplatz war ja noch nicht angelegt – und der Autoverkehr in der Talstraße zugenommen hatte.

Schulhof, Zehntkeller und Kirchstraße blieben der Ort des Pferde- und Viehmarkts samt Weinausschanks. Damit war der Markt in "zwei weit auseinanderliegende Konzentrationspunkte", wie Heeger schreibt, zerrissen. Da lag es nahe, einen zentralen Festplatz einzurichten.

Doch die Grundstücksumlegung nördlich der Talstraße war schwierig, erst zum 1. Februar 1965 wurde sie rechtsverbindlich. Und doch wurde auf dem neuen Platz, rechtzeitig zum 1200-Jahr-Jubiläum, 1964 erstmals hier gefeiert werden.

Bis dahin hatte sich der Mathaisemarkt erheblich gewandelt: 1953 gab es erstmals Weinhoheiten. Die Idee dazu hatte 1951 Heinrich Sander, nachdem er in Hemsbach den Wagen mit einer Weinkönigin gesehen hatte.

Als Privatmann ließ er beim Festzug die inoffizielle Königin Friedel Krämer (aus der Wirtsfamilie des "Alten Ludwigstal") mitfahren, ihr standen als Prinzessinnen Margret Röger und Irmgard Wolf zur Seite. 1952 griff die Winzergenossenschaft diese Privatinitiative auf und kürte Gretel Frank (Königin) sowie Else Ullrich und Marianne Lorenz zu offiziellen Weinhoheiten (die dann ab 1953 zweimal amtierten). Seit 1957 werden die Hoheiten beim Mathaisemarkt (damals am Samstagnachmittag) gekrönt, womit das Fest inoffiziell eröffnet wurde.

Eine Verbindung des Mathaisemarkts zum Wein gab es spätestens seit 1925, doch nun fungierte er wirklich als Weinfest: Im Schulhof wurde 1957 erstmals ein eigenes Weinzelt aufgebaut – mit Verbindung zum Zehntkeller. Aus dieser Zeit kommt auch der "Schriesheimer Winzerkrieg": Etliche private Weinbauern fanden, dass die Winzergenossenschaft den Mathaisemarkt monopolisiert hatte.

Das Weingut Schlossberg-Grüber hatte zeitweise von 1962 bis 1971 ein eigenes Zelt auf dem Festplatz. Der Konflikt lebte wieder auf, als 1986 Bürgermeister Peter Riehl endgültig verfügte, dass im Festzelt nur WG-Wein ausgeschenkt werden darf; elf Jahre zuvor hatte das Rathaus von der WG die Regie des Zeltes übernommen (seitdem galt das WG-Monopol für den ausgeschenkten Wein). Riehls Argument: Gerade in den Straußwirtschaften hätten die Privatwinzer genug Möglichkeiten, ihren Wein an den Mann zu bringen.

Ab 1975 verpachtete die Stadt das Festzelt an Privatfirmen, am längsten währte die "Göckelesmeier"-Ära (1982 bis 2012), die Veranstaltungen wechselten ständig: Legendär ist der "Schriesheimer Abend" mit dem "schwarzen" Peter Riehl in allerhand Spaßspielen gegen seinen Dossenheimer Amtskollegen, den "roten" Peter Denger.

Auch das heutige Gewerbezelt ist neueren Datums: Die erst landwirtschaftliche, dann Gewerbeausstellung (vorher in der Schulturnhalle) wanderte zum Festplatz. Von den Prämierungen der Landwirtschaftsschau ist heute nur noch die für den Wein übrig geblieben, die für den Tabak wurde 2011 abgeschafft.

Auch das sonstige Mathaisemarkt-Programm änderte sich ständig: 1952 wurde die erste Mittelstandskundgebung abgehalten – zunächst in Sälen von Wirtschaften, ab 1972 mit immer prominenteren Rednern im Festzelt; 1957 trat erstmals der Fanfarenzug samt Umzug auf; ab 1966 gab es Modenschauen, ab 1971 Sportveranstaltungen (seit 1975 das Boxturnier), ab 1975 den Seniorenfrühschoppen und ab 1976 den Kindernachmittag.

Seit 1971 wird die Strahlenburg durch ein Feuerwerk illuminiert, ab 1950 sorgte dafür ein Scheinwerfer. Und auch der Festzug hat seit 1956 ein jährlich wechselndes Motto. Und nicht zuletzt wurde 1968 das zweite Festwochenende eingeführt.

Nur der eigentliche Grund für die Veranstaltung, der Tiermarkt, verschwand: 1959 der für Pferde, 1965 der fürs Vieh. An die lange Tradition als "Landwirtschaftsmesse" erinnert heute noch die Ausstellung historischer Schlepper und Zugmaschinen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung