26.07.2024

Schriesheims ältester Einwohner: Ludwig Weiß mit 107 Jahren verstorben

Er war langjähriger Rektor der Strahlenberger Grundschule. Er war "ein Lehrer aus Berufung".

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Am gestrigen Freitag wurde Ludwig Weiß beigesetzt, er war "im gesegneten Alter von 107 Jahren" am 29. April gestorben, wie es in der Traueranzeige heißt. Weiß, der in Altenbach wohnte, war nicht nur der älteste Einwohner Schriesheims und Altenbachs, sondern auch des Rhein-Neckar-Kreises.

Vielen älteren Schriesheimern ist seine Zeit als Rektor der Strahlenberger Grundschule in Erinnerung, der er 17 Jahre lang war – wie Isolde Nelles. Die langjährige CDU-Stadträtin und Vorsitzende der Branich-IG erlebte ihn nur zwei Jahre, 1958/59 in der siebten und achten Klasse: "Er war mein Lieblingslehrer vom ersten Tag an. Für ihn habe ich sogar gelernt."

Weiß, so erinnert sich Nelles, war "rundum beliebt, er hat die Kinder nicht körperlich bestraft, wie es damals üblich war". Auch Karl-Heinz Schulz bezeichnet Weiß als "guten Lehrer", an den er nur gute Erinnerungen hat, weil er niemals die so gefürchteten "Tatzen", also Stockschläge auf die Handflächen, verteilte, sondern nur mit Worten tadelte.

Dabei war Weiß’ Lebensweg besonders hart, wie er vor vier Jahren der RNZ schilderte: Er stammt aus dem kleinen Dorf Wiese im Sudetenland, absolvierte ein Lehramtsstudium, fand aber keine Anstellung und ging daher zum tschechischen Heer. Von dort flüchtete er, als die Wehrmacht 1938 den deutschsprachigen Landesteil der Tschechoslowakei besetzte.

Weiß begrüßte zunächst wie viele Sudetendeutsche den "Anschluss" – und doch sagte er der RNZ: "So manches war nicht nach unserem Geschmack: Unserer mehr österreichischen Mentalität waren die preußische Nüchternheit und Arroganz fremd." Zwar konnte er kurz als Lehrer arbeiten, wurde aber dann doch von der Wehrmacht eingezogen, am zweiten Weihnachtsfeiertag 1940 heiratete er seine langjährige Freundin Traude. Nach der Invasion der Alliierten in der Normandie kam Weiß 1944 in amerikanische Gefangenschaft und wurde in den USA interniert.

Inzwischen hatten die Deutschen den Krieg verloren, und Traude Weiß wurde mit damals zwei Kindern aus der alten Heimat vertrieben: "Uns blieb nur das, was wir am Leibe hatten", erinnerte sie sich. Mit auf der dreimonatigen Flucht waren auch die Eltern des Paars, unterwegs war die erst 18 Monate alte Tochter gestorben. Zunächst schafften sie es nach Österreich.

Dort traf Ludwig Weiß auf seine Familie, schließlich ging man gemeinsam in den Odenwald bei Buchen, bis Weiß 1947 in Heddesheim eine Lehrerstelle antrat. Dort hatte der Heimatvertriebene als "Fremder" einen schweren Stand, und seiner 1947 geborenen Tochter Elke bekam der allgegenwärtige Tabakgeruch in Heddesheim nicht. Also zog die Familie nach Schriesheim, wo Weiß an der Strahlenberger Grundschule bald Rektor wurde.

Heimisch wurde man aber in Altenbach, denn der Vordere Odenwald erinnerte das Ehepaar Weiß an die alte Heimat. Die trug es auch weiter im Herzen, auch wenn beide sich längst hier heimisch fühlten: "Im Sudetenland sieht es so ähnlich aus wie hier, vielleicht ist es nicht ganz so schön", sagte Traude Weiß vor vier Jahren der RNZ. "Wir haben hier so viele nette Leute kennengelernt, wir waren ja so bettelarm."

Das in viel Eigenarbeit gebaute Häuschen im Birkenweg verkauften Ludwig und Traude Weiß im Herbst 2018, um ins Seniorenheim "Haus Ella" zu ziehen, wo sich beide sehr wohl fühlten. Dazu trug auch bei, dass ihre drei Kinder Wolf-Dieter, Elke und Norbert engen Kontakt zu den Eltern hielten.

Sein Schwiegersohn Anton Vogg beschreibt Ludwig Weiß als "sehr kontaktfreudig und gutmütig"; er war bis zum Schluss geistig sehr rege. Isolde Nelles hielt über Jahrzehnte den Kontakt zu ihrem einstigen Lehrer, weiß aber auch, dass er sich nach dem Tod seiner Frau Traude vor zwei Jahren einsam fühlte. Sie sagt über ihn: "Er war ein Lehrer aus Berufung."

Copyright (c) rnz-online
Autor: Rhein-Neckar-Zeitung