18.04.2024

Schriesheimer Hütte: Wo man die Stille noch hören kann

Die Schriesheimer Hütte der Naturfreunde im Weiten Tal lebt von der Mundpropaganda. Sie wird mit viel ehrenamtlichem Engagement betrieben.

Schriesheim. (mio) Mitten in der Metropolregion gibt es Orte, an denen man sprichwörtlich die Stille hören kann. Dann werden die Rufe des Kuckucks, die Sprünge von Eichhörnchen und das Rascheln des Waldes zu den einzigen Lauten, denen man lauschen kann. So ein besonderer Ort ist die Hütte der Schriesheimer Naturfreunde. Wer hier morgens die Fensterläden aufstößt, der kann vielleicht sogar den Bussard bei seinem Abflug überraschen. Naturfreunde-Vorsitzender Sascha Gernold sagt: "Wir leben von der Mund-zu-Mund-Propaganda." Die Schriesheimer Hütte gehört zu den wenigen in Deutschland, die noch ehrenamtlich bewirtschaftet werden.

Von April bis Oktober gibt es an Wochenenden ein kleines, aber feines gastronomisches Angebot, und über den ganzen Zeitraum sind Übernachtungen möglich. Gernold erklärt: "Dank des ehrenamtlichen Engagements sind die Preise bei uns günstig. Damit haben wir unter unseren Gästen eine Mischung aus Arm und Reich.

So soll ein Ausflug in die Natur auch für Menschen mit kleinem Geldbeutel möglich sein." Damit stehen die Schriesheimer in der ursprünglichen Tradition der Naturfreunde. Gegründet wurde der Verein schon 1895 in Österreich. Damals war es den Arbeitern verboten, Wiesen, Wälder oder Berge in ihrer Freizeit zu betreten. Dagegen wandten sich die Naturfreunde, die sich wünschten, dass auch Arbeiter und ihre Familien in den Genuss der freien Natur kommen sollten. So zeigt das Logo zwei Hände, die sich reichen – und dazu die Alpenrose. Im Jahr 1905 wurde in München der erste deutsche Naturfreunde-Verein gegründet, 1929 folgten die Schriesheimer mit ihrer Gründung. Doch nach vier Jahren wurden sie schon allein wegen ihrer guten Kinder- und Jugendarbeit unter der Diktatur der Nationalsozialisten verboten. Nach dem Krieg erfolgte in Schriesheim 1946 die Neugründung mit der Vision: Wir wollen eine eigene Hütte, um Wanderern ein Domizil zu bieten. Von der Wehrmachtshütte an der Schwedenschanze durften die Naturfreunde den Anbau abbauen. Gernold erzählt: "Mit Rucksäcken und zu Fuß transportierten sie das Holz und die Nägel ab. Es gibt Berichte darüber, wie sie die krummen Nägel wieder gerade klopften." Mit dem Material entstand die Vorgänger-Hütte auf dem Areal mitten im Schriesheimer Wald: "Die Hütte war damals nur halb so groß."

1967 brannte infolge Brandstiftung das Gebäude komplett ab. Der Täter wurde gefasst, aber das half nichts, denn er konnte für den Schaden nicht aufkommen. Eigentlich wollte man nun aufgeben. Aber es wären vermutlich keine Schriesheimer, wenn sie nicht einen neuen Anlauf genommen hätten: Von 1968 bis 1970 bauten sie in Eigenarbeit eine neue Hütte, gedreht mit Blick über das Tal. 1975 ebneten die amerikanischen Truppen im Rahmen eines Manövers das hügelige Gelände ein. Später wurden Drainagen verlegt, damit das Erdreich nicht abrutschte. 1986 erhielt die Hütte Strom und Telefon. Nichts bleibt so, wie es war: Seit 2017 hat die Gruppe der Naturfreunde das Haus kernsaniert: Böden, Decken und vor allem Duschen und Toiletten wurden erneuert oder erst eingebaut. Der Holzofen wurde durch eine Zentralheizung ersetzt. Eine ehrenamtliche Naturfreundin hat für die Zimmer Betten maßgefertigt. Die Dreier-Zimmer mit Hochbetten sind der Renner für Kinder.

Es gibt 15 Übernachtungsplätze: Wer unter der Woche hier übernachtet, kann sich über eine kleine Küche selbst versorgen. "Familien treffen sich hier gerne", sagt Gernold. An den Wochenenden gibt es eine Bewirtung. Der Erste Vorsitzende erklärt: "Wir legen Wert auf Regionalität, Bio-Qualität und Fair Trade, wenn es möglich ist." Ehefrau Andrea Gernold bereitet gerne die indische Linsensuppe Dhal oder ein vegetarisches Chili zu. Von Metzgern und Bäckern aus der Region kommen Brot, Wurst und Kuchen. Nur die traditionelle Linsensuppe ist noch aus der Dose.

Wer über das Gelände der Naturfreunde flaniert, der sieht den traditionellen Wald-Geißbart, der selten geworden ist. In einem Biotop haben Molche ihr Zuhause. Es gibt zwei Spielplätze mit Rutschen und einem Kletterhaus. "Als das Kletterhaus installiert wurde, standen die Jugendlichen bis zur Brust in dem Erdloch, in dem die Hütte verankert wurde", erzählt Gernold. Er ist dankbar: Vieles ist nur möglich geworden dank der Sachspenden von Gemeinden, Firmen und Privatleuten.

Vor Kurzem hat die Gruppe Wellenbänke aufgestellt. Beim ersten Anlauf bohrte die Maschine ein 50 Zentimeter tiefes Loch, beim zweiten Loch gab sie den Geist auf. "Wir tüftelten vier Stunden, bis die Maschine repariert war." Inzwischen sind die Bänke zum Waldbaden aufgestellt, kein Mensch ahnt etwas von der Mühe.

Die Naturfreunde zählen rund 280 Mitglieder. "Mit 50 Aktiven sind wir an unseren Grenzen, mit denen wir die Bewirtschaftung der Hütte gerade noch ehrenamtlich bewältigen können. Neue Mitglieder und Helfer sind willkommen", sagt Gernold. Man glaubt es ihm: Zum alljährlichen, traditionellen Goldenen Herbst – den nächsten am Montag, 3. Oktober, ab 10 Uhr, mit bayerischen Schmankerln – kommen bei gutem Wetter bis zu 1000 Besucher. Aber keine Sorge, einen Tag später bietet die Hütte wieder ihre beschauliche Ruhe für alle, die es zu schätzen wissen.

Info: Die Hütte im Weiten Tal ist noch bis Ende Oktober samstags, 12 bis 17 Uhr, und sonntags, 10 bis 17 Uhr, geöffnet. Es gibt dorthin mehrere Wanderrouten. Mehr unter Telefon: 0176/57710519 oder www.naturfreunde-schriesheim.de.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung