06.05.2024

Warum ein Schriesheimer in Diensten des württembergischen Weins steht

Hermann Morast ist seit drei Jahren Geschäftsführer des Württembergischen Weinbauverbands. Schwaben und Baden haben dieselben Probleme.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Hermann Morast als Ur-Schriesheimer ist, so unglaublich es klingen mag, seit drei Jahren Geschäftsführer des Württembergischen Weinbauverbands. In Weinsberg kümmert er sich um die politische Interessenvertretung der schwäbischen Weingärtner – so nennt man dort die Winzer –, aber auch um die Durchführung der amtlichen Qualitätsweinprämierung, Fortbildungen und die Förderung von Jungwinzern.

Der 36-Jährige ging nach dem Abitur zur Weinbau-Hochschule nach Geisenheim, schließlich stammt er aus einer Winzerfamilie. Dort spezialisierte er sich auf die Getränketechnologie, verbrachte etliche Monate in Kellereien – und schrieb seine Doktorarbeit über die Weiterverarbeitung von Trester. In Fußgönnheim bei Ludwigshafen leitete er eine Zeit lang die Produktion von Korken, bis er in den Schoß des Genossenschaftsverbands fand, wo er ein Jahr lang als Berater von Weingärtner-/Winzergenossenschaften in Baden und in Württemberg arbeitete. Von dort aus ging es dann direkt zum Württembergischen Weinbauverband.

Wie kommt es, dass ein Schriesheimer, also ein Kurpfälzer und Badener, in den Diensten des württembergischen Weins steht?

Da kamen viele Zufälle zusammen. Ich hatte von jeher ein kombiniertes Interesse an Weinbau und Politik. Bei 13 Weinbaugebieten in Deutschland ist die Anzahl der Stellen in den politischen Interessensvertretungen nicht allzu groß. Und die Strukturen in Württemberg und Baden, die ich ja selbst aus Schriesheim gut kenne, sind durchaus ähnlich: eher kleine Parzellen und eine genossenschaftliche Prägung.

Aber fühlt man sich da nicht manchmal wie im falschen Film, wenn ein Schriesheimer für den württembergischen Wein wirbt?

Wenn man sich näher mit den Menschen beschäftigt, merkt man schnell: Winzer sind grundsätzlich sympathisch und offen. Da sehe ich keine Unterschiede zwischen Württemberg und Baden. Ich fühle mich im Schwäbischen genauso wohl wie in meiner badischen Heimat.

Aber einer von hier – schließlich ist Baden ja Burgunderland – wird doch mit Trollinger und Lemberger fremdeln …

Das sind eher Details. Entscheidend sind die Strukturen im Weinbau, nicht die Rebsorte. Man darf auch nicht vergessen: Württemberg ist viel mehr als nur Trollinger und Lemberger, hier gibt es eine große Vielfalt. Die Leitrebsorte in Württemberg ist übrigens der Riesling.

Aber dann hat zumindest der Württemberger Wein ein Imageproblem, wenn er anderswo auf Trollinger und Lemberger reduziert wird. Und die scheinen doch aus der Mode gekommen zu sein …

Das Schwierige im Weinbau ist, dass die Weinberge mindestens für eine halbe Berufsgeneration angelegt sind. Man kann da nicht einfach auf ein anderes Produkt wechseln. Ich sehe auch kein Imageproblem für Trollinger und Lemberger, denn der Trend geht schon hin zu leichteren Weinen. Aber das sind vielleicht Feinheiten, denn das Gros der Weintrinker trifft seine Kaufentscheidung aufgrund des Preises. Und gerade im immer größer werdenden Billigpreissegment kann und will Württemberg nicht konkurrieren.

Das hört man auch aus Baden. Haben der badische und der württembergische Wein dieselben Probleme?

Zumindest ähneln die sich: Fachkräftemangel, Strukturwandel – also immer weniger Winzer, die aber dafür größere Flächen bewirtschaften – und die Verhandlungsmacht des Lebensmittel-Einzelhandels. Politisch haben wir natürlich dieselbe Landesregierung. Viele Regelungen kommen allerdings vom Bund oder der EU und betreffen somit beide Weinbaugebiete.

Wie ist denn nun das Image des württembergischen Weins?

Bodenständig, ehrlich, trinkfreudig und höchste Qualitätsansprüche. Man hat hier auch schnell auf den erkennbaren Trend zu wieder süßeren Weinen reagiert. In Württemberg wurde bis vor wenigen Jahrzehnten zu wenig Wein produziert, um den Kernmarkt, also Württemberg, bedienen zu können. Und man legte auch eher den Fokus auf den Kernmarkt, daher ist es nun schwer, sich auf dem Weltmarkt zu positionieren, um andere Absatzmärkte zu finden. Jetzt, da allgemein weniger Wein getrunken wird, merkt man schnell die Macht des Handels: Der diktiert die Preise.

Ist das in Baden denn so anders?

Auf den ersten Blick ist in beiden Landesteilen die Vermarktung – also über den Lebensmittel-Einzelhandel – sehr ähnlich. Die Bekanntheit der Gebiete außerhalb Baden-Württembergs ist nur bedingt vorhanden. Auch in den Export wurde zu wenig investiert.

Baden und Württemberg werden von den Winzergenossenschaften dominiert. Ist das ein Nachteil?

Ich glaube an die genossenschaftliche Idee. Und ohne die Genossenschaften wären auch die kleinen Parzellen, die den Weinbau hier prägen, kaum wirtschaftlicher zu bewirtschaften. In Württemberg sind 70 Prozent der Weinbaufläche in der Hand von Genossenschaften. Der Strukturwandel ist aber hier absehbar: In den letzten 20 Jahren haben über 60 Prozent der Betriebe, vorrangig Hobbywinzer, aufgehört. Das sieht man ja auch in Schriesheim: Die wenigen Betriebe werden größer. Außerdem haben wir in beiden Landesteilen auch strukturelle Nachteile bei den Produktionskosten wegen der vielen Steillagen. Das ist in der Pfalz und in Rheinhessen anders, dort gibt es kaum Steillagen, aber viele große Parzellen. Dort wird weniger mit der Hand gearbeitet, daher ist die Weinproduktion auch kosteneffizienter. Und dem Verbraucher ist schwer zu vermitteln, dass die Liebe zu den Reben sich im Preis widerspiegelt.

Sind denn die Verbraucher preissensibler geworden?

Ja, gerade erst durch die Energiekrise – worunter natürlich auch der Weinkonsum leidet. Die Verbraucher behaupten, sie schätzten die Regionalität, aber das vergessen sie dann am Weinregal. Es gibt eine große Lücke zwischen dem, was die Verbraucher wollen, und dem, was sie dann in den Geschäften tatsächlich kaufen. Außerdem sind die Weinpreise seit Jahren deutlich geringer gestiegen als die Inflation. Mit anderen Worten: Viele Winzer zehren ihr Kapital auf, sie leben von der Substanz. Und dazu kommt noch, dass die gesetzlichen Regularien im Weinbau immer schärfer werden.

Damit sind wir ja bei Ihrem Job, also der Interessensvertretung. Weiß die Politik, unter welchem Druck der heimische Weinbau steht?

Ich glaube, sie weiß, dass die Lebensmittel – und dazu gehört der Wein – tendenziell zu günstig sind. Und sie hat ein großes Interesse am Erhalt der Kulturlandschaft. Insofern finden wir schon Gehör für unsere Argumente – immer mit dem Ziel, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten und einen Konsens zu finden. Abgesehen davon gibt es immer weniger Mandatsträger mit einem landwirtschaftlichen Hintergrund. Daher ist es schwierig, die Probleme von Bauern und Winzern fundiert zu erklären. Und natürlich sind wir auch eine Interessenvertretung für immer weniger Produzenten; da gibt es deutlich mehr Verbraucher, die ein Interesse an günstigen Preisen haben. Insofern wird es schon schwieriger, unsere Themen zu kommunizieren.

Sie haben ja vorhin die Pfalz erwähnt: Dort punkten die Winzer mit aufwändig gestalteten Vinotheken, die Weinorte sind voller Touristen. Wäre es nicht an der Zeit, sich das zum Vorbild zu nehmen und auf die Direktvermarktung und Tourismus umzusatteln?

Wir satteln ja schon um: Die Direktvermarktung wird wichtiger, auch das touristische Potenzial der Weinbaugebiete wird jetzt entdeckt. Im Grunde hatte die Pfalz vor 20 Jahren dieselbe wirtschaftliche Situation wie heute der Württemberger Weinbau. Und eines darf man nicht vergessen: Der Großteil der Pfalz-Weine wird auch im Lebensmittel-Einzelhandel und Discount verkauft – und zwar zu günstigen Preisen, wegen der einfacheren Produktionsbedingungen.

Ich versuche es mal mit einer anderen Erklärung: Die Pfalz hat – bis auf Ludwigshafen – wenig Industrie, dort ist man auf den Weinbau und den Tourismus viel stärker angewiesen als das hoch industrialisierte Baden oder Württemberg, in denen die Wirtschaft boomt. Im Grunde, so sage ich mal zugespitzt, braucht man auf unserer Seite des Rheins den Weinbau gar nicht.

Das sehe ich nicht so. Denn gerade die Kulturlandschaft, die durch den Wein geprägt ist, wird immer wichtiger; es zählen also die weichen Faktoren immer mehr, denn auch die sind ein Standortfaktor, um Unternehmen anzusiedeln und Mitarbeiter zu gewinnen. Ich sehe aber durchaus, dass es Unterschiede zwischen den beiden Rheinseiten gibt: Bei uns ist die Lohnkonkurrenz, gerade durch die Industrie, viel stärker.

Wenn ich mal zusammenfassen darf: Der Weinbau in Baden und in Württemberg macht gerade schwierige Zeiten durch. Was kann man dagegen tun?

Es wäre schon geholfen, wenn die Leser dieses Interviews bewusst mehr regionalen Wein trinken – und den eben auch als regionales Produkt verstehen. Die Erlöse kurzfristig zu steigern ist auf einem globalen Weinmarkt nur sehr, sehr bedingt möglich. Auf der Seite der Betriebe muss man daher schauen, wie man die Kosten weiter optimieren kann, beispielsweise durch (Zweit-)Flurbereinigung und die Schaffung größerer Parzellen. Weitere Optimierungspotenziale ergeben sich beispielsweise durch Erzeugergemeinschaften, die ihre Maschinen gemeinsam einsetzen. Aber sicher, ein Patentrezept gibt es nicht.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung