19.04.2024

Klimaneutral oder wird es noch lauter?

Kling-Malz will ein Biomasseheizkraftwerk bauen, doch in der Nachbarschaft regt sich Widerstand.

Von Marco Partner

Schriesheim. Es soll der klimaneutralen Energiegewinnung dienen und fossile Brennstoffe ersetzen. Die Malzfabrik Kling möchte in der Talstraße ein Biomasseheizkraftwerk zur Prozesswärmeerzeugung am Standort errichten. Bis zu 3300 Tonnen CO2 sollen auf diese Weise pro Jahr eingespart werden. Gleichzeitig ruft die Umstellung in Teilen der Nachbarschaft Besorgnis hervor. Wiltrud Pöschko und ihre Familie wohnen seit 40 Jahren direkt gegenüber der Fabrik. Nun befürchten sie, dass der Lärm durch die neue Verbrennungsanlage zunehmen könnte. Doch die Firma versucht, die Bedenken zu entkräften.

Hoch am Hang lebt die Familie Pöschko. Mit Blick auf halb Schriesheim, aber auch auf die Malzfabrik. Das war schon immer so, auch als man vor vier Dekaden in die Talstraße einzog, war die Firma schon da. "Aber es gab nur zwei oder drei Silos. Jetzt sind es über zehn", erklärt die zweifache Mutter. Entsprechend sei der Lärm mit den Jahrzehnten gestiegen. Dass das traditionelle Unternehmen als wichtiger Schriesheimer Arbeitgeber wachsen müsse, sei verständlich. "Und auch Klimaneutralität ist ein wichtiges Ziel, das Engagement diesbezüglich lobenswert. Trotz allem würden wir uns über Informationen, die die Nachbarschaft betreffen, freuen", beklagt Pöschko.

Sie schrieb bereits im letzten Sommer den Ausschuss für Technik und Umwelt an, regte eine Lärmerfassung für einen Vorher-Nachher-Vergleich an, bekam aber bis heute keine Antwort. Als Mitglied der Interessengemeinschaft "Brummton Rhein-Neckar" (siehe Artikel unten) wurden auch das Bauamt Schriesheim, das Gewerbeaufsichtsamt des Rhein-Neckar-Kreises um Auskunft ersucht. Bislang ohne nennenswerten Erfolg. "Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, aber ich würde mir mehr Transparenz wünschen", sagt Pöschko.

Der direkte Draht zur Fabrik auf der anderen Straßenseite dagegen scheint gekappt zu sein. "2006 hatte ich einen Brief geschrieben, ob die Betreiber sich nicht einmal den Lärm anhören können, von unserer Terrasse aus", erinnert Pöschko. Dieser Bitte sei Heinrich Kling damals nachgekommen. "Er war sichtlich überrascht, hatte Bäume als Lärmschutz gepflanzt, aber an der Situation hat sich leider nichts geändert", betont sie. Im Gegenteil, es würden sich auch andere Nachbarn beschweren. Manche ließen Messungen durchführen, andere zogen sogar vor Gericht. Bei den Pöschkos lag der Wert tagsüber bei 60, nachts bei 45 Dezibel. "Da es als Mischgebiet ausgewiesen ist, sind die Werte im Normbereich, aber es stört kontinuierlich. Rund um die Uhr", erklärt sie.

Nun ist die Sorge groß, dass es mit dem bereits vom Regierungspräsidium Karlsruhe genehmigten Holzheizkraftwerk nicht besser wird. Axel Kling gesteht, dass die Kommunikation mit manchen Nachbarn "schon seit ein paar Jahren gestört" sei. Ein Anstieg des Geräuschpegels sei jedoch gar nicht zu erwarten. "Eine Lärmquelle kommt, aber eine andere verschwindet auch", betont der Wirtschaftsingenieur. Die alte, mit Heizöl betriebene Anlage werde abgestellt und nur noch in Notfallzeiten oder bei Reinigungen und Wartungen zum Einsatz kommen. Ein Holzhackschnitzelkessel soll künftig mit naturbelassenen Holz- sowie Altholzhackschnitzel gefüttert werden. Angetrieben über mittelgroße Feuerungsanlagen, dient das Mini-Kraftwerk der Prozesswärmeerzeugung der am Standort vorhandenen Darre sowie der Beheizung des Produktionsgebäudes.

"Im zweiten Schritt sollen auch unsere Wohnräume und die Werkstatt damit betrieben werden", erklärt Kling. Bis spätestens 2045 möchte man schließlich klimaneutral werden. In Großbritannien hätten schon viele Brauereien auf das Holzheizsystem umgestellt, das auch in Schriesheim nicht unbekannt ist. Nur ein paar Hundert Meter weiter bergwärts wird das Altenheim Stammberg bereits seit 20 Jahren mit Holzhackschnitzeln beheizt, ohne dass man von Beschwerden hört. "Nun wird unsere Anlage deutlich moderner sein. Der Gemeinderat hat das Vorhaben als vorbildlich gelobt", sagt auch Vater Heinrich Kling.

Für die Genehmigung wurden umfangreiche Umwelt- und Lärmgutachten erstellt, die unter dem Richtwert von 45 Dezibel liegen. "Auch schalltechnische Gutachten gab es, uns werden strenge Vorgaben vom Landratsamt gemacht", betont der Diplombraumeister. Seit 135 Jahren existiert der Familienbetrieb. "Wenn etwas schiefläuft, haften wir persönlich dafür. Wir sind nicht dafür bekannt, das schnelle Geld machen zu wollen. Und umziehen können wir mit unserer Firma auch nicht", erklärt er, warum man nicht einfach so etwas hinbaue. "Wir haben auch unsere Visitenkarten bei den Nachbarn gelassen, leider gehen manche nur noch den Weg über den Rechtsanwalt."

Gerade mit Blick auf die Energiewende, die Russland-Sanktionen und den Preisanstieg fossiler Energien habe man mit der Holzheizanlage die richtige Entscheidung getroffen. Und dennoch sieht man derzeit nur Probleme am Horizont: Die Getreidepreise explodieren aufgrund des Ukraine-Kriegs, auch Strompreise steigen, während der Absatz für die belieferten Bierproduzenten seit der Corona-Pandemie sinkt. Und wann die neue Anlage überhaupt geliefert wird, ist aufgrund ins Stottern geratener Produktionsketten auch ungewiss.

Brummton als Problem erkannt

Bergstraße/Neckar. (mpt) Sie hören aus weiter Entfernung das Wummern von Blockheizkraftwerken oder Wärmepumpen. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung werden vor allem nachts von tieffrequentem Schall belästigt. Dabei haben Betroffene meist das Problem, dass ihnen nicht geglaubt wird. In der Region hat sich deshalb vor einem Jahr die Brummton-Initiative gegründet, um auf das Problem aufmerksam zu machen und sich politisches Gehör zu verschaffen. Mit ersten Erfolgen.

18 Betroffene von Heidelberg bis Riedstadt machten den Anfang, inzwischen ist die Initiative auf 55 Mitglieder gewachsen, berichtet Gründerin Susanne Klug aus Altenbach. Die meisten seien noch auf der Suche nach den Lärmquellen. "Hier versuchen wir, zu unterstützen, so es irgendwie geht. Ein Mitglied unserer Initiative hat ein gebrauchtes Messgerät erstanden, das er verleiht." An den bisherigen Online-Treffen nahmen auch Weinheims Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner sowie Professor Detlef Krahé von der Uni Wuppertal teil. Der Lärmforscher warnt schon seit 2014 vor einer Verharmlosung des Brummton-Phänomens und verweist darauf, dass herkömmliche Messgeräte meist nur Schallgeräusche bis 100 Hertz feststellen, der tieffrequente Schall aber liegt darunter. Nun machte Krahé sogenannte Spektralanalysen von Tonaufnahmen und bestätigte laut Klug, dass tieffrequente Einflüsse erkennbar wären, die jedoch durch weitere Messungen genauer geklärt werden sollten.

"Da die Beschwerden über Tieffrequenzen und Infraschall allgemein zunehmen, empfiehlt er, sich über eine strukturierte Erfassung bestätigter Fälle in einer Datenbank Gedanken zu machen", sagt Klug. Zudem solle man bei neuen Anlagen mögliche Vorbelastungen eines Gebietes im Blick haben. Wegen der zunehmenden Beschwerden müsse sich auch das Gewerbeaufsichtsamt des Kreises eingehender mit dem Brummton-Phänomen befassen.

"In der Praxis ist es aus unserer Erfahrung leider so, dass aufgrund der Standardmessungen von bis zu 100 Hertz die Anhaltswerte nicht überschritten sind. Die Ermittlung der exakten lärmverursachenden Quelle ist in den meisten Fällen nicht möglich, dann forscht die Behörde nicht weiter", bedauert Klug. Allerdings will das Gewerbeaufsichtsamt auf Anregung Fetzners nun prüfen, ob eine erneute Messung in Lützelsachsen möglich wäre. Dort leidet Heike Fillbrandt schon seit 2014 unter tieffrequentem Schall, ohne dessen Ursache benennen und belegen zu können. 2018 ließ sie für viel Geld ein Gutachten von einem Umweltmesser aus Birkenau auf ihrem Grundstück erstellen. Der Lärm wurde bestätigt, das Ergebnis aber nicht von anderen Behörden anerkannt und auch der Immissionsort nicht identifiziert. "Es geht darum, dass Schallemissionen in einem korrekten Messverfahren ermittelt und von einem unabhängigen Sachverständigen beurteilt werden", erklärt Klug. Dieser Schritt wäre ein Anfang. Aber: "Wir vermuten, dass nur wenige Kommunen bereit und in der Lage wären, für Klärung der Schallproblematik zu sorgen. Dr. Fetzner erkennt die Notwendigkeit zu handeln. Das ist jedoch aus unserer Erfahrung die Ausnahme", erklärt sie.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung