06.05.2024

"Unterer Schulhof" nun nach Bürgermeister Georg Rufer benannt

Bürgermeister Christoph Oeldorf (Mitte) enthüllt mit den beiden Enkeln Georg Rufers, Thomas (l.) und Matthias Rufer, das neue Platzschild. Foto: Dorn
Bürgermeister Christoph Oeldorf (Mitte) enthüllt mit den beiden Enkeln Georg Rufers, Thomas (l.) und Matthias Rufer, das neue Platzschild. Foto: Dorn
Später gruppierten sich die Nachkommen darum. Foto: Dorn
Später gruppierten sich die Nachkommen darum. Foto: Dorn

Dieses "gut Ding" hatte eine arg lange Weile: Am Samstag ehrte die Stadt den langjährigen Bürgermeister. Eine späte Anerkennung für einen Aufrechten.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. 90 Jahre nach seiner Absetzung durch die Nazis und 70 Jahre nach seinem Tod ehrte die Stadt am Samstag einen aufrechten Demokraten und tatkräftigen Bürgermeister: Seitdem ist der Platz vor dem Zehntkeller ("Unterer Schulhof") nach Georg Rufer benannt. Vor vielen Gästen – darunter auch etliche Nachkommen Rufers – nannte Oeldorf seinen Vor-Vor-Vor-Vorgänger eine "herausragende Persönlichkeit, die sich mit Leidenschaft und Engagement für die Stadt eingesetzt hat".

1920 hatte Rufer das Bürgermeisteramt "in äußerst schweren Zeiten" übernommen – und bewies dabei Tatkraft, wie Oeldorf und Stadtarchivar Dirk Hecht hervorhoben: Die ersten Sozialwohnungen wurden im "Mühlviertel" gebaut, der erste Mathaisemarkt nach dem Ersten Weltkrieg 1925 abgehalten (und im Jahr drauf um einen Vergnügungspark erweitert), 1927 das Kriegerdenkmal eingeweiht und 1930 die Winzergenossenschaft (WG) gegründet. Bis Ende der Zwanzigerjahre war die Stimmung im Gemeinderat noch konstruktiv, doch alles änderte sich mit der erstarkenden NSDAP, deren Ortsgruppenleiter Fritz Urban bald eine persönliche Fehde mit Rufer führte. Besonders nach dem "Flaggenstreit" war Rufer "für die Demokraten ein Held, für die Nazis die absolute Hassfigur", so Hecht.

Gegenüber den Nazis zeigte er sich standhaft – Oeldorf: "Er gab nie auf, für seine Werte zu kämpfen" –, und Hecht findet es bemerkenswert, dass er "als starker Charakter nicht daran zerbrochen ist". Nach dem Krieg war er sofort zur Stelle, als die amerikanische Besatzungsmacht einen unbelasteten Bürgermeister suchte. Zweimal wurde er im Amt bestätigt, erst durch den Gemeinderat und dann von den Bürgern. 1952 trat er wegen seiner angegriffenen Gesundheit zurück. Rufers Leben "umfasste eine Zeit voller Zäsuren" (Hecht): Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Nachkriegszeit und Bundesrepublik – oft Zeiten existenzieller Krisen.

Aktuell ist sein Wirken heute noch, beispielsweise mit der Gründung der WG, weswegen der Platz vor dem Zehntkeller nach ihm benannt wurde. Daran erinnerte der langjährige WG-Vorstandsvorsitzende Friedrich Ewald: "Wir freuen uns, dass der Platz diesen Namen tragen wird, den Namen eines verdienten großen Gestalters und Pioniers im Weinbau." Denn vor der WG war die Lage vieler Winzer prekär, sie waren meist den Weinhändlern ausgeliefert. Daher sei die WG "ein Meilenstein für den Weinbau in Schriesheim", zumal das Ziel der 81 Gründungsmitglieder "die Vermarktung zu auskömmlichen Preisen" war.

Für die Rufer-Nachkommen sprachen Walter Schlippe und Thomas Rufer. Schlippe, Ehemann der Rufer-Enkelin Annemarie, kamen nahe liegende Sprichwörter in den Sinn: "Was lange währt, wird endlich gut" und "Gut Ding will Weile haben", wobei die Ehrung Rufers "eine lange Weile brauchte". Wobei die strategisches Geschick brauchte: Erst musste die RNZ aufs Thema aufspringen, dann gab es erste Kontakte in die Kommunalpolitik (zunächst mit der Grünen Liste), bis dann schließlich SPD und FDP den Antrag zur Platzbenennung einbrachten, den der Gemeinderat einstimmig beschloss. Schlippe fand zudem eines bemerkenswert: Rufer war nach 1945"kein Racheengel", er habe versucht, "mit den Tätern auszukommen". Das meinte auch Thomas Rufer: "Bei der Entnazifizierung hat er keinen angeschwärzt. Er hat immer gesagt: ,Einem gefallenen Esel soll man nicht nachtreten’."

Er hat seinen Großvater nicht mehr erlebt, aber in der Familie kursieren etliche Anekdoten: So weigerte sich Georg Rufer am Tag seiner Amtsenthebung, in Handschellen abgeführt zu werden. Die NS-Zeit, das ergaben die Gespräche mit Nachkommen, war besonders hart: Nur wenige standen noch zu ihm – wie Fritz Lauer, der Besitzer der Strahlenburg: Der schloss sogar das Burgtor, wenn Rufer zum Reden kam. Oder der katholische Pfarrer Peter Eberhard, der ihm ein lebenslanger Freund war. Da die Nazis ihm lange die Pension verweigerten und er keine Anstellung hatte, lebte die fünfköpfige Familie vom Kramladen seiner Frau Gretel. Um zu überleben, verkaufte man nach und nach Land, wie sich Annemarie Schlippe erinnert.

Georg Rufer galt als unbestechlich und integer: Als sein Sohn Willy 1946 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte und im Steinbruch arbeiten wollte, um sich ein Moped zu kaufen, sagte sein Vater: "Arbeiten ja, aber nicht für ein Moped." Als der andere Sohn Hansjörg aus dem Krieg kam und eine Wohnung suchte, erhielt er vom Vater keine: Andere, wie die Flüchtlinge, hatten die nötiger – und so wohnte man zu fünft in einem Zimmer in der Kirchstraße 5.

Und wie war der Mensch Georg Rufer? "Warmherzig", sagt Annemarie Schlippe, das Familienleben war harmonisch. Rudi Kling (87), der als einer der wenigen Rufer noch erlebt hat (und in dessen Nachbarschaft wohnte), erinnert sich daran, wie er mit anderen unerlaubt einen Maulbeerbaum aberntete. Da stand auf einmal Rufer vor ihnen: "Meine lieben Kinder, seid nicht so laut – und macht nicht so viel Sauerei!"

Das Leben des Georg Rufer:

  • 13. Mai 1888: Georg Rufer wird in Schriesheim geboren.
  • 1911/12: Beide Examen als Revisor.
  • Bis 1920: Tätigkeiten bei mehreren Bezirksämtern in Baden und beim Rechnungsamt der Stadt Heidelberg.
  • 8. Juli 1920: Der Sozialdemokrat Rufer wird mit 34 zu 23 Stimmen vom Bürgerausschuss (der zweiten Kammer des Gemeinderats) auf die Dauer von neun Jahren zum Bürgermeister gewählt – als erster hauptamtlicher Bürgermeister in Schriesheim überhaupt.
  • 8. Juni 1929: Wiederwahl Rufers im Bürgerausschuss (34 zu 24 Stimmen).
  • 16. November 1930: Bei der Gemeinderatswahl wird die NSDAP stärkste Partei; die Auseinandersetzungen mit Rufer nehmen zu.
  • 6. März 1933: Flaggenstreit: Nach dem Sieg der NSDAP bei der Reichstagswahl wird am Rathaus die Hakenkreuz- und die schwarz-weiß-rote des Kaiserreichs gehisst. Rufer lässt die schwarz-rot-goldene der Weimarer Republik dazuhängen – für die Nazis eine Provokation.
  • 16. März 1933: Die NSDAP-Mehrheit im Gemeinderat entzieht Rufer die Polizeigewalt.
  • 22. Juli 1933: Der Gemeinderat bittet den badischen Innenminister, Rufer aus dem Amt zu entlassen.
  • 7. September 1933: Rufer wird formell abgesetzt; er verbringt im Schwarzwald einige Wochen in "Schutzhaft".
  • 1933 bis 1942: Rufer erhält als "politisch Unzuverlässiger" keine Anstellung, die von den Nazis verweigerte Pensionszahlung muss er vor Gericht erkämpfen.
  • 29. März 1945: Die Amerikaner setzen Rufer als neuen Bürgermeister ein.
  • 31. März 1946: Der Gemeinderat bestätigt Rufer einstimmig im Amt.
  • 1. Februar 1948: Bei der ersten Direktwahl erhält Rufer 75 Prozent.
  • 30. September 1952: Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen.
  • 3. April 1953: Tod mit 64 Jahren. hö

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung